Wirtschaft

Der Hausiererhandel


Landwirtschaft

Der Hausierer - Vom Wanderhändler zum Großkaufmann
100 Jahre GLM. in Wien Festschrift 1991
Nach den ersten großen Türkeneinbrüchen im 15. Jahrhundert
war Gottschee derart verwüstet, daß der Bestand der Volksinsel ernstlich gefährdet war; daher sprachen

 

die Gottscheer den Kaiser um rasche Hilfe an. Am 23. Oktober 1492 erließ nun Kaiser Friedrich III. (in Österreich auch der Vierte genannt) von Linz aus einen Freiheitsbrief, durch den den verarmten Sprachinselbewohnern das Recht eingeräumt wurde, „in Ansehen des erlittenen Türkenruins . . . mit Vieh, Leinwand und anderem so sie erarbeiten . . . auf das Croatische und anderseitig hin" handeln zu dürfen. Dies geschah, um der wirtschaftlichen Kraft der Gottscheer, die durch die Verheerungen darniederlag, aufzuhelfen und den Bewohnern für den ausgefallenen Ertrag der Felder einen Ersatz zu bieten. Seit diesem Jahr traf man zur Winterszeit den Gottscheer Bauern, der seine Waren feilbot, in den weiten österreichischen Erbländern der Habsburger an. Von diesem Freibrief, der 1540, am 16. Februar 1544, 16. November 1549, 18. Dezember 1570, 7. April 1626, 7. September 1645, 10. September 1661, z. September 1667, 7. September 1674, 1. Dezember 1688, 27. Juni 1691; von Karl IV. am 22. Jänner 1712, 24. März 1712, 10. Mai 1712, 18. Dezember 1715, 14. Mai 1721, 14. Dezember 1737; von Maria Theresia am 1. April 1765 und 3. Dezember 1767; von Joseph II. am 14. April 1785'") erneuert und erweitert wurde, letztlich noch einmal am 15. April 1818 und am 28. September 1841, nahmen die Gottscheer alsbald Gebrauch. Zuerst boten sie hauptsächlich Holzwaren an, die zu Hause verfertigt wurden, wie Löffel, Gabeln, Schüsseln, Teller, Siebe, Reiter, aber auch Leinwand.

Das kaiserliche Privileg von 1492 hatte den Gottscheern hinreichenden Spielraum gegeben; da es besagte, sie dürften „auf das Croatische und andersweitig hin" handeln, hatte es ja ihren Aktionsradius nicht regional eingeengt. Daß die Gottscheer sehr rasch in weit entfernte Gebiete gekommen sind, dafür haben wir Beweise, so u. a. im Verhörbuch der Stadt Preßburg (1597‑1601), wo die Anwesenheit von Gottscheern angeführt wird. Und B. Hacquet weiß uns in seinem 1801 erschienenen Buch zu berichten, daß er auf Feldzügen, an denen er als Regimentsarzt teilgenommen hatte, in der Moldau und Walachei Gottscheer mit „Packeseln" getroffen hat, die „Früchte, Zitronen, Pomeranzen, Oliven, Mandeln, Datteln u. dgl." vertrieben haben.

So wird es allmählich zur festen Tradition, daß der Gottscheer im Herbst, meistens im Oktober, aus der Heimat wegzieht, Frau und Kinder zurücklassend, und nach Laibach, Triest oder „Deutschland" (worunter man alles Land nördlich von Krain versteht) reist. Größere Städte, wie Graz, Linz, Innsbruck, Wien, Brünn, Prag, Budapest, sind ihm nicht unbekannt, auch Orte in Nordböhmen, Sachsen und Süddeutschland nicht. Überall wurde er zur Institution, und die Leute wunderten sich, wenn der Gottscheer einmal ein Jahr ausblieb. Vielen gelang es, der Familie kleinere Beträge zu überweisen und im Frühjahr, meist zur Zeit der Sommersonnenwende, noch mit einem ansehnlichen Spargroschen zurückzukehren. Genaue Zahlen kann man unmöglich ermitteln, zumal ja die Hausierer weder Bücher führten noch irgendwelche Zahlen hinterließen.

Schon gegen Ende des 18. Jahrhunderts waren einige Hausierer zu Wohlhabenheit aufgestiegen. So kauften die Familien Kosler, Kusche, Wiederwohl und Schlager in Triest und Fiume Waren um 30.000 bis 50.000 Gulden ein, um sie zu veräußern. War die Gelegenheit günstig, so ließen sich Gottscheer Hausierer in der Fremde nieder und eröffneten ein Südfrüchte‑ oder Galanteriewarengeschäft. Ja, einige Autoren, unter ihnen H. Gröbl, halten die Gottscheer für die Hauptbegründer des Handels mit Südfrüchten im östlichen Europa. Zählen wir einige dieser Familien auf: Wittine (Südfrüchte, Triest), Stampfl und Loser (Südfrüchte, Triest), Stalzer (Delikatessen und Südfrüchte, Wien), Meditz (Spezereien, Wien), Erker (Fischkonservenfabrik, Tetschen a. d. Elbe), Stampf! (Südfrüchte, seinerzeit wohlhabendster Bürger von Prag), Martin (Südfrüchte, Miskolcz in Ungarn), Plesche (Südfrüchte, Prag).

Um 1880 begann der Absatz der bisherigen Waren zu stocken, einige Gottscheer verlegten sich daher auf das Kastanienrösten. Aber die Zeit arbeitete gegen den Hausierer. Mit der steigenden Ausbreitung des Verkehrs und des ortsansässigen Handels, der dem Verbraucher alles bot, kam der Hausierhandel ins Hintertreffen. Einen tödlichen Schlag versetzte der Zusammenbruch der österreichisch‑ungarischen Monarchie dem Hausierwesen: die Nachfolgestaaten behinderten es nachdrücklich.

Aus der Gottschee, einer deutschen Sprachinsel im Herzogtum Krain, kam der Gottschewer oder Gottscheberer,
der in Wien auch gernKraner (Krainer) genannt wurde. Er trug seine unmittelbar für den Verkauf bestimmte Ware in einem nach vorn umgehängten Korb bei sich (für Orangen allein genügte ein Netz). Wie in einer Auslage boten sich hier Datteln, appetitlich gelegt in Schachteln, Feigenkränze, kleine und größere Schachteln aus Holzspan, mit Zuckerwerk aller Art gefüllt, Orangen, gezuckerte Früchte und noch viel andere Näschereien dar. Immer wieder, untertags an belebten Plätzen oder Belustigungsstätten wie dem Prater, abends in Gaststätten und vor allem beim Heurigen, hob der Gottschewer/Kraner den Leuten seinen Korb entgegen. Dabei blieb er stumm und ließ vorerst einmal die Dinge im Korb für sich selbst sprechen. Erst nach einer Weile, nachdem die Gäste am Tisch auch wirklich alles genau betrachtet hatten, nimmt er ein Säckchen aus seiner Tasche, das bezifferte Spielmarken enthält, und ladet zum Spiel ein. Denn alle diese begehrenswerten Dinge aus dem großen Korb konnte man, so man auch genügend Glück im Spiel hat, weitaus billiger oder vielleicht gar umsonst haben. Mit billigem Einsatz spielte man entweder Grad oder ungrad (aus dem der Wiener Schmäh „Kraut oder Unkraut" machte), Hoch oder nieder oder Drei unter hundert. Der Gewinn sah dann absichtlich nach mehr aus, als der Einsatz betragen hatte (wie auch heute noch im Prater oder auf Jahrmärkten und Kirtagen). Er bestand beim Gottschewer zumeist aus einer Ware des Korbes (besonders gern aus einer Schachtel mit Süßigkeiten oder einem Kranz Feigen), manchmal jedoch wurde auch eine ganze Partie Waren und sogar der ganze Korbinhalt ausgespielt.

Die Gottschewer verbanden geschickt Handel und Glücksspiel. Der Vorgang des „Ausspielens" war der einer Tombola. Unter den teilweise ortsansässigen Ausspielern finden wir auch Frauen, nicht allerdings unter den Gottschewern. Bei diesen sind hingegen Knaben nicht selten, und sie waren sogar besonders beliebt: Man rechnete sich größere Gewinnchancen aus.

Neben dem Gottschewer, der als „Einzelunternehmer" von zu Hause mit seinem Warensortiment (in Sack oder Binkel) ausgezogen und monatelang unterwegs war, gab es auch solche, die ‑ zumeist zu mehreren ‑ im Dienst eines einzelnen Unternehmers standen, der sie mit allem Notwendigen ‑ von der Ware über Kost und Quartier bis zur Kleidung ‑ versorgte, ein System, das auch bei anderen Wanderhändlem (wie z. B. den Rastelbindern und Dalmatinern) üblich war.

Ebenfalls eine allgemeine Erscheinung war es, daß sich auch andere („unechte") Hausierer das Image eines bestimmten Typus zunutze machten, also „unter falscher Flagge segelten". So stammte auch der eine oder andere Gottschewer nicht aus der Gottschee in Krain, sondern aus dem Ungarischen oder Italienischen. Und die Reifnitzer sind mit ihren Sieben, Körben usw. immer unter Gottscheer Flagge unterwegs gewesen. So ist wahrscheinlich der doch einigermaßen auffallende „Gottscheberer" zu verstehen; der deutschsprachige Gottscheer würde sich nie so bezeichnet haben!

Richard Ruppe jüngster Sohn eines Gastwirtes und Kaufmannes hat er in Winkel in der Gotttschee am 15.01.1907 das Licht der Welt erblickt. Doch der Lebensraum wurde der kinderreichen Familie zu eng und so wanderte er 1928 aus. Er wanderte von Gmunden, Linz, über Braunau nach Deutschland und Holland, und danach nach Bad Aussee.  Er ist dann dem Beruf mit viel kaufmännischer Gewandtheit nachgegangen, Kaiser Friedrich IV. verlieh den Gottscheern für die deutschen Reichslande im Jahre 1492 ausdrücklich das Privileg des Hausierhandels, das durch spätere Kaiser erneuert und erweitert wurde

So schnallte er sich täglich über seine fesche Gottscheer Tracht den „Bauchladen“ um und verkaufte vorwiegend Süßigkeiten und animierte zu einem „Glücksspiel“, wenn er durch die Gaststätten von Tisch zu Tisch wanderte. Der Käufer durfte „grad oder ungrad“ sagen und dann tief in sein dargebotenes Sackerl mit Losen greifen, und hatte er gewonnen, so durfte er sich etwas Süßes aus den vielen Fächern des Bauladens aussuchen. Höhere Gewinne gab es zu erzielen, wenn man nur mit Ziffern gewettet hatte usw. Bei dieser Wanderschaft hat R. Ruppe wohl seine große Menschenkenntnis erworben, die ihm später als Hotelier im Hotel Sonne Bad Aussee  sehr nützlich war.