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Mögen wir den heutigen Gottscheer aus der Art, wie er sein Vertriebenenschicksal bewältigt,erkennen und daraus Rückschlüsse auf seine Lebensart in der Endzeit seiner Volksinsel ziehen. Er lebt in aller Welt verstreut. Aber wo immer eine kleine Gruppe von Gottscheern in der Welt zusammentrifft, mag man sich vorher gekannt haben oder nicht, da beginnt etwas vor sich zu gehen, was man vielleicht mit einer Art Auferstehung eines geistigen Gottschees bezeichnen könnte: Man wechselt aus der Hochsprache sofort wieder in die dem Mittelhochdeutschen verwandte Mundart zurück, in dieses einzigartige, noch immer lebende deutsche Sprachdenkmal alter Zeit. Man setzt sich zusammen, und die Heimat, die alte Heimat Gottschee, erwacht zu neuem Leben: in den Gesprächen, in den Gedanken, in der Gebärde und in der ganzen Haltung. Man setzt sich zusammen, und man beginnt zu singen. Ob man sich vorher kannte oder nicht: es genügt zu wissen, daß Gottscheer beieinandersitzen, und man singt. Man singt die Mundartlieder. Man singt sie, wie andere in der Kirche Choräle singen, mit Andacht, mit feierlichem Herzen, mit Inbrunst und Hingabe. Man singt Gottscheer Lieder, weil man auf dem Wege über das gesungene Wort am tiefsten in die seelischen Bezirke seiner Heimat zurückdringen kann. Man singt ‑ aus Heimweh. Im Liede aufersteht Gottschee. Man singt in einer Zeit und in Landen, in denen unter den Einheimischen längst jedes freie Singen erstorben ist. So ist der Gottscheer in der erzwungenen Fremde auf der ewigen Suche nach dem, was das Wort Heimat beinhaltet, und es gibt Landsleute, die reisen und reisen nur, um ihre Freunde und alle Gruppen von Gottscheern in der weiten Welt aufzusuchen, in der unbewußten Sehnsucht nach der Heimat. Das ist der Gottscheer heute. Dabei versteht er draußen in der Welt sein Handwerk durchaus, sein Geschäft und stellt seinen Mann. Fleiß und Weltaufgeschlossenheit sichern ihm Existenz und Vorwärtskommen im Materiellen. Aber das Materielle ist ihm immer nur die eine Hälfte des Lebens. In der andern Hälfte seiner Seele bleibt er ein ewiger Wanderer zwischen zwei Welten. Dieser Haltung gehen freilich tiefste Erlebnisse voraus: Er lebte in einem mißgönnten Lande. Er mußte um seine Heimat ringen. Er mußte Schweiß und Tränen um sie vergießen. Es wurde dem Gottscheer wahrlich nichts geschenkt. Um alles mußte er ringen, um das Wort, das Lied, seine Kultur, seine Schule, seine Kirche, seine Bücher, seine Heimatzeitung, schließlich seinen Boden und Besitz. Wer um die selbstverständlichsten Menschenrechte des Lebens derart ringen muß, dem fällt eine Heimat nicht mühelos zu. Heimat setzte also bei ihm viel mehr voraus, als beim gesicherten Binnendeutschen. Heimat setzte Opfergeist, Treue, Zusammenhalt, Verbundenheit, Liebe, vor allem Liebe voraus. Das sind kostbare Begriffe in unserer heutigen entleerten Zeit. Treue, Liebe, Opfergeist! Aus dieser Liebe und Treue hielt er auch zu seinem Brauchtum im Jahreslauf und in der kirchlichen Festtagsfolge. Aus dieser Liebe und Treue zur Heimat holte er bei Trachtenfesten immer wieder die schon längst abgelegte und ausgestorbene, alte schöne Tracht heraus und zeigte sie. Aus dieser Heimatliebe aber brachte er es fertig, sich in den Jahren nach 1935 sogar noch eine modifizierte, neue weibliche Landestracht in Anlehnung an alpendeutsche Vorbilder zu schaffen und vor allem auch täglich zu tragen. Die Mädchen waren es, die künftigen Mütter Gottschees, die sich selbst die neue Volkstracht schufen und die sie trugen. Das scheint bezeichnend: Die Hüterinnen des Herdes und Erbes eines Volkes erkannten in Gottschees höchster Notzeit ihre Pflicht! Sie waren bereit zu opfern und zu entbehren, und sie bezeugten es. Man soll die Tradition in Ehren halten, als einzelner wie als Volk! Um der seelischen Kontinuität willen, die alle Weiterentwicklung braucht. Sonst gibt sich der Mensch in Notzeit auf, und seine Lebensart geht unter. Dieses ungeschriebene Lebensgesetz wirkte im Gottscheer durch sechs Jahrhunderte hindurch. Sonst wäre er heute nicht mehr da. Eines seiner Mittel, sich auszudrücken, ist dabei die Kleidung. Wir wissen nicht, ob seine alte Tracht, die sicher auch Einflüsse aus dem benachbarten Weißkrainischen in sich trägt, nicht schon immer nur Festtagskleidung gewesen war. Doch gehörten Tracht und Feier, Tracht und Besinnung auf eine Wertwelt, bis zum letzten Tage in seiner Heimat zusammen. Freilich, seit der Jahrhundertwende wurde diese alte schöne, weiße Tracht der Frauen und die Hausierertracht der Männer auch zu den üblichen Festtagen nicht mehr getragen, sondern ausschließlich nur noch zu Trachtenfesten aus dem Schrank geholt. Aber zur 6oo‑Jahrfeier 1930 in Gottschee und zur 63o‑Jahresfeier der Vertriebenen in Klagenfurt, da erregte sie Aufsehen und allgemeine Bewunderung |